Wie ich den Tod kennenlernte
und er beim Gehen meine Angst und den Schrecken mit sich nahm
Es ist nicht das erste Mal, dass ich jemanden verliere. Geliebte Tiere, geliebte Menschen sind aus meinem Leben verschwunden und haben eine große Traurigkeit hinterlassen. Und eine Enge in meiner Brust, die ich kaum aushielt und möglichst schnell hinter mir lassen wollte. Ich war so traurig. Diese Emotion überrollte mich bei jeder Erinnerung an den Verlust, wie eine schwere Betonrolle. Schnürte mir die Luft ab. Ich konnte kaum atmen. Meine einzige Lösung dagegen: Ablenkung.
Dieses Mal war es anders. Ich trat eine Aufgabe an, die mir Furcht bereitete und mit der ich überhaupt nicht vertraut war. Ich habe mich so vielen Ängsten gestellt, weil ich es anders nicht hätte mit meinem Gewissen und meinen Gefühlen vereinbaren können. Die letzten Tage waren kräftezehrend und nervenaufreibend. Und doch habe ich so viel mitnehmen können, so viel gelernt und bin so stolz auf mich, wie ich mit der Situation umgegangen bin. Ich konnte einem Menschen Halt geben und für ihn da sein. Seinen letzten, steinigen Weg begleiten. Ich habe so viele Tage für mehrere Stunden seine Hand gehalten, Geschichten erzählt, „Die Kinder von Bullerbü“ vorgelesen und war einfach nur bei ihm. Ich konnte den Tod auf eine ganz neue Weise kennenlernen. Es gibt unendlich verschiedene, tragische andere Fälle, aber in diesem Fall kam der Tod so natürlich, wie auch ein Kind auf die Welt kommt. Genau so ging dieser Mensch nun auch wieder. Ich konnte die verschiedenen Stadien an der Seite eines Menschen hautnah miterleben, der Stück für Stück von dieser Welt verschwindet. Ich konnte den Tod aus der Sicht eines Dreijährigen beobachten und es brachte Leichtigkeit in das Sterben. Kinder spenden ein ganz zauberhaftes Licht in dieser Welt.
Ich konnte meine Angst zulassen und zusehen, wie sie jeden Tag wieder auf ein Neues verschwand. Ich konnte Berührungsängste vor alten, sterbenden Menschen ablegen. Sogar vor einem steifen, kalten Körper, dessen Herz seinen letzten Schlag schon längst getan hatte. Ich habe gelernt, wie wichtig und großartig mitfühlende und engagierte Pflegekräfte sind und was diese Arbeit alles mit sich bringt. Ich habe mit all meinem Sein für einen Menschen da sein können und konnte sehen, fühlen und manchmal auch hören, was für eine Stütze ich auf diesem letzten Weg sein konnte. Das hat mich stark gemacht. Ich konnte den Tod annehmen. Ich konnte mich wieder mehr über das Leben freuen. So viele Gefühle, die mich berühren. Die mich unendlich traurig machen, aber auch Mut, Stolz und Zufriedenheit hinterlassen.
Ich habe die letzte Träne von der knochigen Wange gestrichen, und einen zarten Abschiedskuss mit auf den Weg gegeben. Beruhigende Worte und immer immer immer die Hand gehalten. Ich habe den Tod kennengelernt und er hat meinen Schrecken und meine Furcht mit sich genommen, als er ging. In meinem Herzen ist Liebe, wenn ich an ihn denke und eine Zuversicht, die ich vorher so noch nicht gespürt habe.